Ausgestattet mit einem Verständnis für Grundrezepturen und einem Nachschlagewerk für INCI-Bezeichnungen ist es gar nicht schwer, die Rezeptur der liebsten Kaufkosmetik abzuleiten.
Die INCI-Liste
Die INCI-Liste muss obligatorisch alle enthaltenen Rohstoffe benennen
Jedes kosmetische Erzeugnis, das in Europa verkauft wird, muss eine sogenannte INCI-Liste aufweisen. „INCI“ steht für „Internationale Nomenklatur kosmetischer Inhaltsstoffe“ oder auf Englisch: „International Nomenclature Cosmetic Ingredients“. Da diese Liste jeden enthaltenen Inhaltsstoff aufführen muss, können wir uns von dieser Liste ganz leicht die Rohstoffe heraussuchen, aus denen wir ein Rezept ableiten wollen.
Die INCI-Bezeichnungen sollten für eine einfachere Handhabung ins Deutsche übersetzt werden
INCI-Begriffe sind sprachenübergreifend, damit sie in ganz Europa verstanden werden. So wird Rosenhydrolat beispielsweise als „Rosa Damascener Flower Water“ angegeben: Dieser Name verrät uns bereits, dass es sich um das Blütenwasser einer Rosensorte handelt, genauer gesagt um die Gruppe der Damaszener. Es lohnt sich, jeden einzelnen Begriff zunächst in seine deutsche Bezeichnung zu übersetzen.
Die Reihenfolge der INCI-Liste bestimmt, wie viel von welchem Rohstoff enthalten ist
Die Regel besagt: Die Inhaltsstoffe eines Produkts werden entsprechend ihrer Einsatzkonzentration in absteigender Reihenfolge angegeben. Ausnahmen gelten ab einem Wert unter 1 %: Alle Rohstoffe, die mit weniger als 1 % enthalten sind, dürfen nach Belieben notiert werden. Am Ende der Liste aller Inhaltsstoffe stehen die Sensibilisatoren: Das sind die Stoffe, die in ätherischen Ölen enthalten sind und einen Hinweis für Allergiker geben.
Aus der INCI-Liste eine Rezeptur ableiten
Nun bedarf es zweier Schritte: Zuerst muss anhand der Art der Inhaltsstoffe und ihrer Anordnung erkannt werden, welcher Grundrezeptur die Formulierung zuzuordnen ist. Anschließend müssen, ähnlich wie bei einem Sudoku-Rätsel, auf der Grundlage empfohlener Einsatzkonzentrationen und anhand der Reihenfolge der INCI-Liste die Prozentangaben der Rezeptur errechnet werden.
Schauen wir uns folgende INCI-Liste an:
Rosa Damascena Flower Water, Polyglyceryl-3 Rice Branate, Ribes Nigrum Seed Oil, Glycerin, Pentylene Glycol, Butyrospermum Parkii Butter, Niacinamide, Sodium Hyaluronate, Xanthan Gum, Citric Acid, Linalool.
Anleitung
Schritt 1
Damit wir wissen, welche Roh- und Inhaltsstoffe sich hinter der INCI-Nomenklatur verbergen, übersetzen wir die INCI-Liste. Folgende Liste ergibt sich daraus: Rosenhydrolat, Emulgator PG3R, Johannisbeersamenöl, Glycerin, Konservierungsmittel Pentylene Glycol, Sheabutter, Vitamin B3, Hyaluronsäure, Xanthan, Zitronensäure, Sensibilisator Linalool
Schritt 2
Wir erkennen, dass ein Hydrolat, ein Basisöl und ein Emulgator den größten Teil dieser Formulierung ausmachen, weil sie ganz am Anfang der INCI-Liste stehen. Bestätigt wird dieser Eindruck durch die Sheabutter, die einer Creme Festigkeit verleiht, und das Xanthan, welches für eine mousseartige Textur der Creme sorgt. Auch das Konservierungsmittel Pentylene Glycol kann für Cremes eingesetzt werden, Hyaluronsäure und Vitamin B3 weisen auf eine regenerierende und aufpolsternde Zielsetzung der Creme hin. Zitronensäure wurde zum Einstellen des pH-Werts verwendet, und Linalool weist auf die hohe Qualität des Rosenhydrolats hin: Damit ein Hydrolat so viele Wirkstoffe enthält, dass auch der Sensibilisator anzugeben ist, muss der Gehalt an ätherischem Öl besonders hoch sein.
Schritt 3
Nun beginnt das Zahlenspiel: Um von dieser Aufzählung auf eine Rezeptur schließen zu können, werden zunächst die typischen Einsatzkonzentrationen notiert. Ist die Zahl schwankend oder unbekannt, notiert man ein X. Jeder genannte Rohstoff muss geringer dosiert sein als sein Vorgänger auf der Liste. Und die zusammengezählte Fettphase ergibt typischerweise eine glatte Zahl (10 %, 15 %, 20 % …).
Den Sensibilisator Linalool berücksichtigen wir nicht: Dieser berechnet sich ausschließlich aus der Menge des ätherischen Ölgehalts des Rosenhydrolats und ist kein separat zugegebener Inhaltsstoff.
Die folgende Reihenfolge der Rohstoffe entspricht der INCI-Liste, in den Klammern steht die angegebene empfohlene Einsatzkonzentration des Herstellers:
Rosenhydrolat (X)
Johannisbeersamenöl (X)
Emulgator PG3R (15 %)
Glycerin ( Konservierungsmittel Pentylene Glycol (5 %)
Sheabutter (X)
Vitamin B3 ( Vitamin E(1 %)
Xanthan ( Zitronensäure (qs = quantum satis: so viel wie nötig)
Schritt 4
Dazu schreibe ich diese Angaben nun in Form einer Kalkulationsrezeptur: Ich sortiere sie so übersichtshalber bereits nach Phasen (siehe Tabelle)
Schritt 5
Kennt man erst einmal die Zusammensetzung der fertigen Creme, ist es ein Leichtes, auf die Fettphase insgesamt zu schließen. Ich gehe von 25 % aus: 15 % Emulgator, Sheabutter steht hinter Pentylene Glycol, welches typischerweise zu 5 bis 7 % verwendet wird. Demnach wurde diese vermutlich mit 5 % oder weniger verwendet und Johannisbeersamenöl mit 5 %. Technisch gehört auch das lipophile Vitamin E zur Fettphase, der Einfachheit halber lassen wir diesen Wirkstoff aber außen vor. Damit das Rezept insgesamt 100 % ergibt, fehlen noch 59,8 %: Meist handelt es sich hierbei um die Wasserphase.
Schritt 6
Kontrolliere, ob die Logiken hinter den von dir eingefügten Zahlen noch korrekt sind? Entspricht die absteigende Reihenfolge der Einsatzkonzentrationen der Reihenfolge auf der INCI-Liste?
Entsprechen alle Mengen den empfohlenen Einsatzkonzentrationen der Rohstoffe? Passt die Menge des Emulgators zur Menge der Fettphase – und passt die Fettphase zur Wasserphase?
Ergeben die Wirkstoffe insgesamt weniger als 15 bis 20 %?
Starte dann einen Rührversuch und dokumentiere deinen Herstellungsverlauf. Optimiere die Rezeptur nun je nach Rührergebnis.
PHASE (zu Schritt 4) | INHALTSSTOFF | KATEGORIE | % |
---|---|---|---|
A | Rosenhydrolat | Basis | |
B | Johannisbeersamenöl | Basis | |
B | Emulgator PG3R | Funktional | 15% |
B | Sheabutter | Basis | |
C | Glycerin | Funktional | < 10 % |
C | Xanthan | Funktional | < 0,5 % |
PHASE (zu Schritt 5) | INHALTSSTOFF | KATEGORIE | % |
---|---|---|---|
A | Rosenhydrolat | Basis | |
B | Johannisbeersamenöl | Basis | 5 % |
B | Emulgator PG3R | Funktional | 15% |
B | Sheabutter | Basis | 5% |
C | Glycerin | Funktional | 4 % |
C | Xanthan | Funktional | 0,2 % |
Tipps & Tricks
Ein guter Produktentwickler kennt viele der gängigen INCI-Bezeichnungen auswendig.
Sie helfen dir, Marketing-Aussagen zu ignorieren und den wahren Kern eines Produkts offenzulegen.
Die genaue Bezeichnung lässt auf die Qualität der Rohstoffe schließen.
Bleiben wir beim Beispiel Rosenhydrolat: „Rosa Damascener Flower Water“ ist die INCI für ein Hydrolat, und „Aqua, Parfum“ die INCI für destilliertes Wasser mit (meist) synthetischem (Rosen-)Parfum.
Einige Inhaltsstoffe haben eine geringe empfohlene Einsatzkonzentration.
Seid demnach nicht traurig, wenn das wundheilungsfördernde Allantoin erst ganz am Ende genannt wird. Es wirkt optimal, wenn es mit 0,05 bis 0,5 % dosiert ist!
Die Rezeptur wird nicht zu 100 % die gleiche sein.
Das ist unmöglich – und auch witzlos! Ein Rezept kann sich nur mit jedem Rührversuch immer weiter an die Originalrezeptur annähern, vor allem, wenn man die Konsistenz und Farbe, den Geruch und die Wirkung des Produkts und nicht nur die INCI-Liste kennt!
Die Wirkung wird sehr ähnlich sein.
Ein Produkt ist immer die Summe der ihm zugeführten Rohstoffe. Stimmen die Rohstoffe hinsichtlich Qualität und Reinheit, so ist Reverse Engineering bei der Produktentwicklung ein tolles Tool.
Das Ergebnis stimmt überhaupt nicht mit dem Original überein.
So erfährt man eventuell eine ganze Menge über die Qualität der Rohstoffe. Hochwertige, naturbelassene und kaltgepresste Öle haben typischerweise einen charakteristischen Duft und eine bestimmte Farbe. Oft werden auch bei teurer Naturkosmetik für ein einheitliches Produkterlebnis raffinierte Öle verarbeitet. Verwendet der Selbstrührer hingegen Rohstoffe von höherer Qualität, kann das am Ende Einfluss auf Duft, Farbe und Haptik haben.
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