Was passiert, wenn wir nicht nachhaltig konsumieren?

Nina Weber Online Redaktion

Nachhaltig zu denken, handeln und zu wirtschaften ist heute wichtiger denn je – denn um die Erde nicht weiter auszubeuten und den Planeten und die Ressourcen zu schonen, müssen wir jetzt aktiv werden. Um die Konsequenzen eines nicht nachhaltigen Wirtschaftens und Handelns zu beleuchten, haben wir mit Jan Stremmel gesprochen.

Interview mit Jan Stremmel

Rund 100 Tage im Jahr ist Jan Stremmel als Auslandsreporter tätig. Seit mehr als fünf Jahren. Mit der Zeit verändert sich sein Weltbild als Konsument immer mehr und er stellt irgendwann fest: „Eigentlich gibt es keinen Aspekt meines Lebens, indem ich nicht in irgendeiner Weise eine Desillusionierung erlebt habe.“ Uns erzählt er in einem Interview, wie er heute zu Konsum steht und welche Erfahrungen dazu beigetragen haben.

Was bedeutet Konsum für dich persönlich?

Konsum ist die Basis von fast allem, was wir den ganzen Tag tun. Und Konsum zu vermeiden ist fast unmöglich. Wir konsumieren, wenn wir essen, wenn wir Dinge des täglichen Bedarfs kaufen, … eigentlich immer. Deswegen sollte sich jeder die Frage stellen: Wie kann ich so konsumieren, dass mein Fußabdruck so fair wie möglich ist und nicht zu Lasten von anderen Menschen geht?

Als Journalist bist du viel auf Reisen und häufig mit den Auswirkungen unseres „Überkonsums“ konfrontiert. Inwiefern haben die Erlebnisse deine Einstellung verändert?

Meine Reisen und meine Erlebnisse haben mich da in vielerlei Hinsicht aufgeweckt. Sie haben mir klar gemacht, dass der Konsum für das Leben und die Gesundheit von Menschen, aber auch die Umwelt und die Natur verheerende Folgen hat. Selbst, wenn er sich noch so harmlos und gut anfühlt! Wir merken das beim Konsumieren nicht – und sollen es natürlich auch nicht. Denn das wäre nicht im Interesse der Unternehmen, die damit sehr viel Geld verdienen.

Das Schwierige ist für den Verbraucher deshalb erst einmal, an diese Informationen zu kommen und zu merken, was hinter dem Produkt eigentlich alles steckt. Und genau so ging es mir bei jeder Reise und jedes Mal mit einem anderen Produkt.

Irgendwann wurde mir klar, dass der rote Faden meiner Erlebnisse ist, dass wir eigentlich keine Ahnung haben, was in unserem Namen geschieht.

Jan Stremmel, Auslandsreporter

Hast du ein Beispiel dafür?

Ich war zum Beispiel Kaffeepflücken und habe gemerkt, die Kaffeebauern kratzen am Existenzminimum – ohne, dass man es bei uns in Deutschland merkt. Denn bei uns ist Kaffee kein billiges Produkt. Dennoch hat sich der Preis, den die Bauern auf dem Weltmarkt dafür bekommen, seit Jahrzehnten nicht erhöht. Und das, obwohl sich die Verkaufspreise für die Konsument:innen hier im globalen Norden in den vergangenen 20 Jahren vervielfacht haben. Das zeigt ganz klar, dass etwas ganz gehörig schiefläuft.

Denn die Menschen, die jede Bohne einzeln pflücken, werden immer ärmer. Aber natürlich geht man als Konsument:in ohne dieses Wissen davon aus, dass der Bauer davon leben kann, wenn man für einen Kaffee 4,50 Euro zahlt.

Inwiefern können wir besser konsumieren, um das Leben der Menschen am Anfang der Lieferkette lebenswerter zu machen?

Bei jedem Kauf können wir uns beispielsweise fragen: Muss es das billigste Produkt sein? Oft ist man sich gar nicht bewusst, was ein paar Cent ausmachen können. Der Zusammenhang zwischen einem Euro, den ich zum Beispiel im Supermarkt mehr ausgebe, und dem Leben von Menschen, wurde mir erst auf einer Fairtrade-Farm in Kenia klar. Dort durfte ich ein paar Tage lang den Alltag von Rosenpflückerinnen begleiten. Dabei konnte ich den Unterschied zwischen konventionell gepflückten Rosen und „Fairtrade-Rosen“ ganz deutlich erleben. Denn die Mitarbeiterinnen haben dort Vorteile, die andere Pflückerinnen in der konventionellen Landwirtschaft nicht haben. Zum Beispiel bringt sie ein Bus jeden Tag sicher zur Arbeit und wieder nach Hause. Sie müssen also den kilometerweiten Weg nicht zu Fuß in der Dunkelheit zurücklegen. Zudem werden sie auf der Farm kostenlos medizinisch versorgt, was in einem Land, indem der Arbeitgeber keine Krankenversicherung finanzieren muss, ein enormer Vorteil ist.

Die Mitarbeiter:innen können sogar über einen bestimmten Prozentsatz der Verkaufserlöse selbstständig bestimmen. Demokratisch wird abgestimmt, ob damit beispielsweise ein gemeinschaftlicher Gemüsegarten angebaut wird oder die Grundschule im Ort neue Tische bekommt.

Das alles war mir nie bewusst, wenn ich das unscheinbare grüne Siegel auf der Verpackung gesehen habe. Aber diese kleinen Beträge sorgen ganz konkret dafür, dass die Frauen zumindest eine Grundsicherung haben, die in ihrem Land nicht selbstverständlich ist.

Wen siehst du bei den Auswirkungen von schlechtem Konsum in der Verantwortung?

Die Verantwortung ist auf mehreren Ebenen verankert. Ich glaube, falsch ist das Narrativ, dass die Konsument:innen allein in der Verantwortung sind. Meiner Meinung nach ist das eine sehr erfolgreiche Strategie von konservativen Kräften und Unternehmen, um sich vor ihrer Verantwortung zu drücken. Denn die Leute kaufen natürlich das, was ihnen angeboten wird. Kurzum: Ich denke nicht, dass es etwas bringt, wenn wir uns alle ein schlechtes Gewissen machen und uns einreden, wir könnten allein mit unseren Kaufentscheidungen die Welt verändern. Dafür braucht es politische Rahmenbedingungen und Leitplanken, die gesetzlich eingezogen werden, um Unternehmen einen fairen Umgang mit ihrer Lieferkette aufzuzwingen. Anders geht es nicht.

Erst, wenn Unternehmen per Gesetz dafür zur Rechenschaft gezogen werden, wie sie innerhalb der Lieferkette Mitarbeiter:innen und Subsubunternehmer:innen behandeln, wird sich etwas ändern. Und das liegt ganz klar in der Verantwortung der Politik!

Jan Stremmel, Auslandsreporter

So können auch wir bei jeder politischen Wahl eine Entscheidung darüber treffen, wie die Politik in unserem Namen gestaltet werden soll. Und um das ganz klar zu sagen: Wer sogenannte konservative Parteien wählt, trägt eher nicht dazu bei, dass sich nachhaltig etwas an der Ausbeutung des globalen Südens ändert.

Aber natürlich ist auch jeder Kauf, den wir als Konsument:innen tätigen, eine Art kleiner Stimmzettel. Mit ihm stimmen wir an der Kasse darüber ab, welches Unternehmen mit seinem wirtschaftlichen Handeln unsere Stimme bekommt und welches wir dadurch in seinem Tun bestärken.

Wie konsumierst du?

Ich konsumiere heute weniger und dafür insgesamt teurer als früher. Das ist wahrscheinlich auch nicht die Lösung. Aber es ist eine Methode, die für mich funktioniert. Vor allem aber verzichte ich auf Spontankäufe und shoppe nichts mehr mit dem Gedanken: „Ach, das ist aber ein Schnäppchen!“ Wenn der Schnäppchenpreis für mich das Hauptargument ist, etwas zu kaufen, mache ich es nicht mehr. Ich warte auch häufiger, wenn ich etwas „brauche“ und hinterfrage das Gefühl dann ein paar Tage später nochmal. Außerdem achte ich mehr auf Nachhaltigkeit, auf Siegel und Labels. Bei teureren Anschaffungen nehme ich mir zudem vorher Zeit zum Recherchieren. Zudem frage ich mich vor einem Kauf immer öfter mit Marie Kondo: „Does it sparkle joy?“

UNSER INTERVIEWEXPERTE

Jan Stremmel

Jan Stremmel arbeitet als Journalist für ProSieben und die Süddeutsche Zeitung. Dabei ist er rund 100 Tage im Ausland unterwegs. Auf seinen Reisen erlebt er immer wieder die Auswirkungen unseres täglichen Konsums. Einige seiner Erlebnisse dokumentiert er in dem Buch „Drecksarbeit. Geschichten aus dem Maschinenraum unseres bequemen Lebens“ (Knesebeck Verlag). Fotocredit: Christian Werner

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